Streit um Sondernutzungsflächen: Mediation und Gerichtsverfahren im Wohnungseigentum

Streit um Sondernutzungsflächen ist in deutschen Wohnungseigentümergemeinschaften keine Seltenheit. Ob es um den Garten, die Terrasse, den Parkplatz oder die Garagenzufahrt geht - wenn ein Nachbar glaubt, er habe ein Recht auf eine Fläche, die ein anderer nutzt, bricht oft ein Konflikt aus. Und dieser Konflikt kann Jahre dauern, wenn er nicht richtig angegangen wird. Die rechtliche Lage ist klar, aber die Emotionen sind es nicht. Was viele nicht wissen: Es gibt einen Weg, der nicht vor Gericht führt - und der oft viel besser funktioniert.

Was sind Sondernutzungsrechte wirklich?

Sondernutzungsrechte sind kein Eigentum. Sie sind ein exklusives Nutzungsrecht an einer Fläche, die rechtlich zum Gemeinschaftseigentum gehört. Das bedeutet: Du darfst die Terrasse nur du nutzen, aber du besitzt sie nicht. Sie bleibt Teil des gemeinsamen Grundstücks. Diese Rechte entstehen entweder in der Teilungserklärung, durch einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft oder durch langjährige, geduldete Nutzung. Wer das nicht versteht, beginnt mit falschen Annahmen - und das führt schnell zu Streit.

Ein typischer Fall: Ein Nachbar hat seit 20 Jahren einen Teil des Gartens als eigenes Beet genutzt. Die anderen haben nichts gesagt. Jetzt will ein neuer Eigentümer das Beet zurückholen. Ist das rechtlich möglich? Ja. Aber nur, wenn die Nutzung nicht als stillschweigende Vereinbarung gilt. Die Rechtsprechung sagt: Wenn eine Nutzung über 30 Jahre geduldet wurde, gilt sie als vertraglich anerkannt. Ein Amtsgericht in München hat das 2018 bestätigt - und der Nachbar musste das Beet behalten.

Die Fläche muss klar abgegrenzt sein. Kein „so etwa hier“ oder „das ist doch sowieso mein Bereich“. Es muss eine feste Linie geben - etwa durch eine Mauer, einen Zaun oder eine exakte Beschreibung in der Teilungserklärung. Das Landgericht Frankfurt hat 2023 klargestellt: Ohne klare Abgrenzung gibt es kein Sondernutzungsrecht. Und wenn die Teilungserklärung nichts sagt, dann ist es Gemeinschaftseigentum - für alle.

Warum streiten Menschen so oft darüber?

Die Hauptgründe sind einfach, aber tiefgreifend. Eine Umfrage unter 1.200 Wohnungseigentümern aus 2023 zeigt: 58 % der Konflikte entstehen, weil die Abgrenzung unklar ist. Die Teilungserklärung ist alt, verschwommen oder gar nicht vorhanden. Dann wird aus einer freundlichen Nachbarschaft eine Schlacht um den letzten Quadratmeter.

32 % der Streitigkeiten drehen sich um die Instandhaltung. Wer muss die Terrasse streichen? Wer zahlt für den Rasenmäher? Wer trägt die Kosten, wenn die Zufahrt repariert werden muss? Hier mischen sich rechtliche Pflichten mit persönlichen Erwartungen. Ein Eigentümer denkt: „Ich nutze es, also muss ich es auch pflegen.“ Der andere denkt: „Das ist Gemeinschaftseigentum, also zahlt die Gemeinschaft.“

Und dann gibt es noch die 10 %, die bauliche Veränderungen vornehmen - ohne Zustimmung. Ein Zaun, eine Überdachung, eine Terrassenüberbauung. Das ist ein klassischer Fall für einen gerichtlichen Streit. Der Bundesgerichtshof hat 2019 klargestellt: Solche Veränderungen brauchen einen Gemeinschaftsbeschluss. Wer das ignoriert, handelt rechtswidrig - und kann zur Beseitigung verpflichtet werden.

Mediation: Der Weg, den fast alle vermeiden

Die meisten Eigentümer denken: „Ich rufe meinen Anwalt.“ Aber das ist oft der falsche erste Schritt. Die Mediation ist die bessere Wahl - und sie funktioniert. Laut dem Deutschen Mediationsverband (DMV) wird in 82 % der Fälle ein dauerhafter Kompromiss gefunden. Das ist mehr als doppelt so viel wie bei Gericht.

Warum? Weil Mediation nicht um Recht geht - sondern um Beziehung. Ein Mediator hört zu. Er fragt: „Was brauchst du wirklich?“ Nicht: „Was steht im Gesetz?“ In einem Fall aus Kassel hat eine Nachbarin seit Jahren ihre Blumen auf einer Gemeinschaftsfläche stehen. Der Nachbar fand das unschön. Beide waren verärgert. Der Mediator brachte sie dazu, gemeinsam einen neuen Blumenkasten zu planen - mit klaren Regeln für Pflege und Platz. Keiner musste aufgeben. Keiner fühlte sich vertrieben. Der Streit war nach 4 Monaten vorbei.

Die Kosten sind gering: 120 bis 200 Euro pro Stunde. Ein typisches Verfahren dauert 3-5 Stunden. Gegenüber einem Gerichtsverfahren, das durchschnittlich 11,7 Monate dauert und über 4.200 Euro kostet, ist das ein Schnäppchen. Und es bleibt eine Nachbarschaft. Prof. Dr. Klaus Vieweg von der Universität Passau hat in seiner Studie gezeigt: Nach einer Mediation sind nur 29 % der Nachbarschaftsbeziehungen dauerhaft gestört. Nach einem Urteil? 63 %.

Ein Mediator unterstützt zwei Wohnungseigentümer bei der Lösung eines Flächenstreits.

Was, wenn Mediation nicht funktioniert?

Dann bleibt das Gericht. Aber Achtung: Du musst die richtige Partei verklagen. Viele Eigentümer klagen gegen den Nachbarn - und verlieren sofort. Das Landgericht Frankfurt hat 2023 klargestellt: Die Klage muss gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband gerichtet sein. Der Nachbar ist nur ein Mitglied. Der Verband ist der Störer, wenn er das Sondernutzungsrecht nicht durchsetzt oder schützt.

Der Streitwert wird nach dem wirtschaftlichen Interesse berechnet. Der Deutsche Anwaltverein empfiehlt: 1 % des Grundstücksanteils - mindestens 1.500 Euro. Ein typischer Sondernutzungsstreit hat einen Streitwert von 23.400 Euro. Die Verfahrensdauer beträgt durchschnittlich 287 Tage. Das ist lang. Und es ist teuer. Die Gerichtskosten, Anwaltskosten, Gutachterkosten - das summieren sich schnell.

Und selbst wenn du gewinnst: Die Nachbarschaft ist kaputt. Du wirst weiterhin an der Tür klingeln. Du wirst im Treppenhaus vorbeikommen. Du wirst auf dem Balkon stehen und ihn sehen. Ein Urteil löst das Problem rechtlich - aber nicht menschlich.

Was du jetzt tun kannst

Wenn du in einem Streit steckst, folge diesen drei Schritten - vor allem, wenn du noch keine Anwaltsbriefe verschickt hast.

  1. Prüfe die Unterlagen. Hole dir die Teilungserklärung und die Gemeinschaftsordnung. Lies sie. Schau, ob deine Fläche dort beschrieben ist. Wenn nicht, ist sie Gemeinschaftseigentum. Wenn sie beschrieben ist, schau, ob die Abgrenzung klar ist.
  2. Hole dir eine fachliche Einschätzung. Ein WEG-Sachverständiger kostet 350-850 Euro. Das ist ein kleiner Preis für Klarheit. Er sagt dir: Ist dein Recht gültig? Ist es abgegrenzt? Ist es verjährt? Das spart dir Jahre und Tausende.
  3. Starte eine Mediation. Suche einen zertifizierten WEG-Mediator. Nur 28 % der Mediatoren haben diesen Spezialschwerpunkt. Nutze die Liste des Deutschen Mediationsverbandes. Beginne innerhalb von drei Monaten nach Konfliktbeginn - je früher, desto besser.

Wenn du diese Schritte befolgst, hast du 71 % Chance, den Streit ohne Gericht zu lösen. Das ist keine Vermutung - das ist eine Statistik des Deutschen Anwaltvereins aus 2023.

Digitale Grenzlinien überschreiben alte, unscharfe Grundrisszeichnungen auf einem Wohnkomplex.

Was sich bald ändern wird

Die Gesetze verändern sich. Im Herbst 2024 soll das WEG novelliert werden. Dann wird es verpflichtend sein: Bevor du vor Gericht gehst, musst du eine Mediation versuchen. Das ist kein Zufall. In Bayern läuft dieses Modell seit 2021 - und die Zahl der WEG-Streitigkeiten ist um 47 % gesunken.

Auch die Technik hilft. Ab 2026 müssen alle Teilungserklärungen digitale, georeferenzierte Grundrisse enthalten. Kein „da, wo der Baum steht“ mehr. Sondern: „Fläche XY, Koordinaten 51.2345, 9.6789“. Das macht Missverständnisse fast unmöglich.

Die Zukunft gehört nicht dem, der am lautesten schreit. Die Zukunft gehört dem, der früh handelt - mit klaren Regeln, professioneller Beratung und dem Mut, zu verhandeln, statt zu klagen.

Prävention ist die beste Strategie

Die meisten Streitigkeiten entstehen nicht durch Bosheit - sondern durch Unwissenheit. Wer seine Rechte nicht kennt, überschreitet sie. Wer die Rechte anderer nicht kennt, verletzt sie.

Die beste Lösung ist präventiv: Eine klare, aktuelle Gemeinschaftsordnung. Nicht nur in der Teilungserklärung, die oft aus den 80er-Jahren stammt. Sondern in einer modernen, gemeinsam beschlossenen Regelung, die alle verstehen. Studien zeigen: Gemeinschaften mit solchen Ordnungen haben 63 % weniger Konflikte.

Wenn du deine Gemeinschaft leitest: Mach eine Versammlung. Hol dir einen Experten. Schreibe eine neue Ordnung. Setze klare Regeln für Terrassen, Gärten, Parkplätze. Und lass sie von allen unterschreiben.

Ein Streit ist kein Zeichen von schlechten Menschen. Er ist ein Zeichen von schlechten Regeln.

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